Teil 7

 

                                                                                                                                       
Das "Zielen"

Man möge mir verzeihen, daß ich hier den Ausdruck "zielen" verwende, aber mir fiel kein besserer Ausdruck dafür ein, wie ich die Bogenhand dazu bringe mit dem Bogen ins Ziel zu zeigen.
Beim richtigen Zielen mittels eines Visiers oder eines Referenzsystems kenne ich, oder schätze ich die Entfernung zum Ziel. Ich ziehe den Bogen aus, halte dann den Visierstift für diese Entfernung direkt aufs Ziel und löse die Sehne. Habe ich die Entfernung richtig geschätzt und den richtigen Visierstift benutzt, dann ist die Chance groß mein Ziel punktgenau zu treffen.
Wie funktioniert dies aber beim "instinktiven" Schießen? Ich schätze keine Entfernung, habe kein Visier oder Referenzsystem und treffe doch mein Ziel, indem mein Bogenarm nur von meinem Gehirn unterbewußt gesteuert wird (vorausgesetzt ich habe oft und lange genug geübt).
Sehen wir uns das bereits erwähnte Beispiel mit dem Papierkorb und dem zusammengeknüllten Blatt Papier noch einmal etwas genauer an.
Wenn wir die Papierkugel zum aller ersten Mal in Richtung Papierkorb werfen, ist die Chance in den Papierkorb zu treffen nicht sehr groß. Da wir aber den Flug der Papierkugel in Richtung Korb mit den Augen verfolgen, kann das Gehirn diese Flugbahn abspeichern. Beim nächsten Wurf veranlaßt das Gehirn den Arm mit mehr oder weniger Kraft, abhängig von der vorangegangenen Flugbahn, zu werfen. Mit jedem Versuch werden wir also die Kugel näher an bzw. in den Papierkorb werfen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß wir die Papierkugel im Flug sehen, und der Standort des Papierkorbs sich nicht verändert. Stellen wir den Papierkorb in eine andere Ecke, wird unser erster Wurfversuch wahrscheinlich wieder nicht sehr erfolgreich sein. Mit jedem weiteren Versuch werden wir allerdings wieder näher an bzw. in den Papierkorb treffen. Wenn wir dieses Spiel so weiter betreiben und den Standort des Papierkorbs häufig verändern, bildet sich unser Gehirn daraus eine Art "Vergleichstabelle".
Das bedeutet, wenn wir oft genug versucht haben aus verschiedenen Entfernungen den Papierkorb zu treffen, merkt sich das Gehirn die sichtbare Größe des Korbes, die dazugehörige Entfernung und die benötigte Wurfkraft. Wenn wir dann den Korb aus irgendeiner Entfernung anschauen, vergleicht das Gehirn die sichtbare Größe des Papierkorbs mit den abgespeicherten Größen. Es wählt die am nächsten passende Größe aus der "Vergleichstabelle" aus und gibt den Befehl für die zugehörige Wurfkraft an den Arm weiter.
Beim "instinktiven" Bogenschießen läuft dieser Vorgang ähnlich ab. Wir konzentrieren uns auf unser Ziel, spannen den Bogen, lassen unser Gehirn unterbewußt den Bogenarm steuern und lösen die Sehne. Unser Gehirn registriert dabei die Größe des Ziels, die Flugbahn des Pfeils und die Stellung des Bogenarms. Sollte der Pfeil zu kurz fliegen, merkt sich das Gehirn, daß bei einer Entfernung, die dieses Ziel in dieser  Größe erscheinen läßt, der Bogenarm etwas höher gehalten werden muß. Das kann allerdings nur geschehen, wenn wir mit den Augen die Flugbahn des Pfeiles verfolgen können.
Bei meinen Pfeilen verwende ich deshalb nur helle leuchtende Farben, wie weiß, gelb und leuchtgelb bei der Befiederung. Da ich meine Federn außerdem gedrallt aufklebe, sind meine Pfeile sehr gut sichtbar und ich kann die Flugbahn meiner Pfeile sehr leicht verfolgen. Außerdem ist die Trefferlage auf dem Ziel sehr leicht zu erkennen. Viele  Schützen verwenden dunkle oder gestreifte Truthahnfedern zur Befiederung ihrer Pfeile. Diese Pfeile sehen zwar sehr gut aus, haben aber für "instinktive" Schützen folgenden Nachteil. Sie sind sehr schwer im Flug und auf der Scheibe zu erkennen. Dadurch erschweren diese Schützen ihrem Gehirn die Arbeit, die Flugbahnen und Trefferlagen im Verhältnis zu der Scheibengröße abzuspeichern. Das heißt allerdings nicht, daß Schützen, die dunkle Befiederung bevorzugen, keine guten "instinktiven" Schützen werden können.
Die Abspeicherung erfolgt bei ihnen aber erst ab dem Zeitpunkt, ab dem der Pfeil fürs Auge sichtbar wird, also manchmal erst beim Ziehen der Pfeile. Deshalb ist diese Art der Abspeicherung und die Erstellung der "Vergleichstabelle" für das Gehirn meist eine langwierige Angelegenheit.
Ich empfehle jedem, der anfängt "instinktiv" zu schießen, die Verwendung von leuchtender, sichtbarer Befiederung und hellen Nocken, um dem Gehirn die Abspeicherarbeit so leicht als möglich zu machen.
Ein anderer wichtiger Punkt ist die Konzentration auf das Ziel. Wenn ich beispielsweise einen Holzwolle-Ballen mit einem dunklen Müllsack abhänge und nur einen leuchtfarbenen Aufkleber, in der Größe eines Fünfmarkstückes, darauf anbringe, habe ich einen sehr gut sichtbaren Punkt auf den ich mich konzentrieren kann. Aus einer Entfernung von ca. 15 Metern sehe ich nur diesen Punkt, da durch den dunklen Müllsack als Hintergrund mein Blick nicht abgelenkt wird. Wenn ich nun versuche diesen Punkt zu treffen, habe ich damit keine Schwierigkeiten, weil meine Konzentration nur auf diesem Punkt gerichtet ist. Klebe ich jedoch mehrere Punkte dazu, fällt es mir sehr viel schwerer mich auf einen dieser Punkte mit voller Intensität zu konzentrieren, da mein Blick durch die anderen gleichaussehenden Punkte abgelenkt wird. Dementsprechend fällt dabei auch mein Schießergebnis aus. Das gleiche Experiment kann man auch bei einer sehr weiten Entfernung machen, indem man auf einem frisch gepflügten Feld einen weißen Styroporklotz oder ähnliches platziert. Wenn man nun ca. 100 Meter zurückgeht und sich auf den Klotz konzentriert, fällt dies sehr leicht, weil dieser sich vom braunen eintönigen Untergrund des Feldes sehr gut abhebt. Nach zwei bis drei Schüssen auf den Klotz, kommt man ihm bereits sehr nah, bzw. trifft ihn auch. Und das obwohl der Klotz ca. 100 Meter entfernt steht. Stellt man diesen Klotz allerdings auf eine bewachsene Wiese mit Blumen, Unkraut usw. dann fällt es sehr schwer sich auf diesen Klotz zu konzentrieren, weil das Auge durch viele Gegenstände im Blickfeld abgelenkt wird. Der gleiche Klotz ist dann bei der gleichen Entfernung kaum noch zu treffen. Aus diesen Beispielen kann man erkennen, daß die Intensität der Konzentration auf das zu treffende Ziel maßgeblich für das Treffen des Zieles verantwortlich ist. Dies ist auch der Grund, warum viele "instinktive" Schützen weniger Probleme haben, Scheiben auf kurze Distanzen zu treffen, als Scheiben auf lange Distanzen. Bei den Scheiben auf den kurzen Entfernungen fällt es viel leichter sich auf einen Punkt dieser Scheibe zu konzentrieren, sei es ein Farbfleck, ein bereits vorhandenes Einschußloch, die Oberflächenstruktur bei 3-D Tierscheiben oder ähnliches. Auf den langen Distanzen sieht man die Scheibe als ganzes, kann keine Farbflecken und keine Oberflächenstruktur mehr erkennen und es fällt sehr schwer sich einen Punkt zu suchen.
Wenn ich mich auf einen Punkt auf der Scheibe konzentriere dann verschwimmt für mich im Idealfall alles außer diesem Punkt. Dazu ist aber eine sehr große Intensität an Konzentration notwendig. Diese Intensität läßt dann meist im Laufe eines Turniers nach und die Trefferquote verschlechtert sich. Bedingt durch die aufzubringende Konzentration ist es für "instinktive" Schützen meist einfacher eine "Hunter-Runde" mit einem Pfeil pro Scheibe zu schießen, weil dabei die Intensität der Konzentration bei fast allen Scheiben gleich bleibt, als eine normale Runde mit beispielsweise drei Pfeilen pro Scheibe.
Ein anderes Problem stellt die Art der Scheiben für einen "instinktiven" Schützen dar. Wer nur auf 3-D Scheiben trainiert, erstellt sich im Gehirn eine "Vergleichstabelle" mit der wahren Größe der Tiere. Das bedeutet, das Auge erfaßt die Größe des 3-D Tieres und das Gehirn vergleicht die sichtbare Art und Form des Tieres mit den gespeicherten Werten von vergleichbaren Tieren, die bei einer bestimmten Entfernung dieselbe Größe haben. Daraufhin steuert das Gehirn den Bogenarm auf die Höhe, die für diese Entfernung notwendig ist. Schießt dieser Schütze allerdings dann auf Tierscheiben aus Papier, auf denen das Tier in einer verkleinerten Fotografie abgebildet ist, dann entsteht für das Gehirn eine "optische Täuschung". Denn das Gehirn vergleicht die sichtbare Größe dieses Bildes mit den abgespeicherten Werten von vergleichbaren Tieren, die aber in ihrer Originalgröße abgespeichert wurden. Das Tier auf dem Bild scheint für das Gehirn somit in einer weiteren Entfernung zu stehen, als dies tatsächlich der Fall ist. Eine hohe oder sehr hohe Trefferlage ist dann meist die Folge. Wer also als "instinktiver" Schütze bei Turnieren vorne mitschießen will, muß auf möglichst viele unterschiedliche Scheiben trainieren, um seinem Gehirn die Möglichkeit zu geben eine möglichst große "Vergleichstabelle" anzulegen.

Damit wir die Möglichkeit haben uns voll auf unser Ziel zu konzentrieren und nicht durch irgendwelche Gegenstände in unserem Blickfeld abgelenkt werden ist es sinnvoll den Bogen seitlich abzukippen. (Bild 1)  Dabei wird der obere Wurfschenkel, bei einem Rechtshandschützen, nach rechts geneigt. Die meisten Schützen neigen ihren Bogen ca. 20 bis 30 Grad. Man muß auf jeden Fall beachten, daß man die Zughand in gleichem Maße mitkippt, um ein Verkanten der Sehne beim Ausziehen zu vermeiden. Durch das Abkippen des Bogens hat man außerdem die Möglichkeit den Kopf etwas nach vorne über den ausgezogenen Pfeil zu neigen. (Bild 2) Der Pfeil kommt somit näher an das Auge, das ja den hinteren Teil unseres "Visiers" darstellt. Außerdem wird es einfacher, bei gekipptem Bogen, die Pfeilflugbahn zu verfolgen. Manche kippen den Bogen bei kurzen Schüssen etwas mehr als bei langen Schüssen, andere behalten den Winkel bei allen Entfernungen bei. Bei einem Bogen, der vom "shelf" also vom Griffstück geschossen wird, verändert der Winkel des Kippens die Lage des Pfeils nur unwesentlich. Daher kann der Winkel ganz nach persönlichem Geschmack gewählt, verändert oder beibehalten werden ohne eine Veränderung der Trefferlage zu bewirken. Bei hochgesetzter Pfeilauflage verändert das Abkippen des Bogens auch die Lage des Pfeils erheblich. Je mehr der Bogen nach rechts gekippt wird, desto mehr verschiebt sich die Lage des Pfeils nach rechts und nach unten. Ein Schütze, der seinen Bogen mit hochgesetzter Pfeilauflage schießt, sollte deshalb den einmal gewählten Winkel des Abkippens nicht von Schuß zu Schuß verändern, da das Gehirn nicht die Möglichkeit hat diese Lageänderung so schnell zu korrigieren.



Das Lösen der Sehne

Viele Schützen, mit denen ich mich unterhielt, erzählten mir, das saubere Lösen der Sehne sei für sie das größte Problem überhaupt und die häufigste Fehlerquelle für ihre schlechten Schüsse. Das Verreißen der Zughand zur Seite wurde mir dabei als häufigste Ursache für einen verpatzten Schuß genannt. Ich glaube jedoch das Problem vieler Schützen ist nicht das Lösen selbst, sondern bereits der Bewegungsablauf vor dem Lösen.
Dieser Bewegungsablauf stellt sich uns folgendermaßen dar. Mit der Bogenhand drücken wir den Bogen in Richtung Ziel und ziehen mit der Zughand die Sehne nach hinten. Zum Lösen der Sehne werden einfach die Finger der Zughand geöffnet und durch den Druck auf den Bogen nach vorne wird die Sehne gerade nach vorne von den Fingern gezogen. Dies wird außerdem durch die Bewegung der Zughand nach hinten begünstigt.
Auch wenn man die Zughand am Ankerpunkt für kurze Zeit anhält, muß man den Druck auf den Bogen und den Zug an der Sehne beibehalten. Man kann sich das am besten vorstellen, als stünde man in einem Türrahmen, die Bogenhand drückt gegen die eine Seite der Zarge und der Zugarm drückt mit dem Ellbogen gegen die andere Seite. Auch wenn sich beide Hände nicht mehr bewegen, behalte ich den Druck auf den Bogen und den Zug an der Sehne bei. Denn nur so kann ich sicherstellen, daß die Sehne beim Lösen gerade nach vorne von den Fingern gezogen wird.
Viele Schützen, die ich beobachtet habe, ziehen den Bogen aus bis zum Ankerpunkt, fangen dann an sich zu konzentrieren (oder zielen...), behalten den Druck auf den Bogen und den damit zusammenhängenden Zug an der Sehne aber nicht bei. Erkennbar ist dies daran, daß die Pfeilspitze sich ganz langsam nach vorne bewegt und die Schultern langsam nachgeben. Durch die nachgebende Schulter wird der Zug an der Sehne nach hinten nicht beibehalten und beim Lösen der Sehne wird meist die Hand nach der Seite vom Gesicht weggerissen. Dieses Wegreißen hat auch ein Verreißen des Bogenarms auf die entgegengesetzte Seite zur Folge, was das Problem des schlechten Lösens noch verschlimmert. Wer Probleme mit dem seitlichen Wegreißen der Zughand hat, sollte auf jeden Fall erst einmal versuchen den Druck auf den Bogen und den Zug an der Sehne aufrecht zu erhalten und in den Schultern nicht nachzugeben. Das Problem des schlechten Lösens wird oftmals damit schon behoben.


Das Einsinken in die Knie

G.Fred Asbell beschreibt in seinen Büchern "Instinctive Shooting I und II" das Einsinken in die Knie, während des Ausziehens des Bogens, als Intensivierung der Konzentration auf das Ziel.
Er führt auch ein Beispiel an, bei dem wir dies für uns selbst nachvollziehen können. Wir stellen uns aufrecht hin und zeigen mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf einen Gegenstand. Jetzt schauen wir über den Zeigefinger hinweg auf den Gegenstand und versuchen uns auf diesen Gegenstand zu konzentrieren. Wenn wir nun in die Knie sinken und den Kopf leicht nach vorne neigen schauen wir viel dichter über den Finger hinweg auf den Gegenstand und die Konzentration wird intensiver. Der ganze Körper wird durch das Einsinken in die Knie auf diesen Gegenstand focusiert.
Beim "instinktiven" Schießen beginnt das Einsinken in die Knie synchron mit der Aufwärtsbewegung des Bogenarms und endet, wenn die Knie etwa über den Zehenspitzen stehen. Ich habe diese Stellung der Knie beim "instinktiven" Schießen ausprobiert und muß sagen, daß sie mir vor allem dann hilft, wenn die Intensität meiner Konzentration nachläßt. Der einzige Nachteil dieser Stellung und wahrscheinlich auch der Grund dafür, daß so wenige Schützen diese Stellung nicht benutzen ist auf  Bild 3 zu erkennen. Man sieht aus als hätte man gerade in die Hosen gesch....n.
Als ich im Juni ´96 beim Turnier in Cloverdale in Indiana mitgeschossen habe und während des Ausziehens in die Knie einsank wurde ich spöttisch gefragt ob ich das "G. Fred Syndrom" habe.
Trotz des etwas seltsamen Aussehens dieser Stellung und des Spottes, dem sich der Schütze evtl. aussetzt, möchte ich jedem angehenden "instinktiven" Schützen raten diese Stellung für sich einmal zu probieren. Vielen wird es wahrscheinlich als Konzentrationshilfe zugute kommen.
Wer gern in dieser Stellung schießt, aber bei Turnieren Angst hat deswegen verspottet zu werden, sollte sich den Rat von G. Fred zu Herzen nehmen sich immer in eine Gruppe mit hübschen Frauen einteilen lassen. Passanten und andere Schützen werden dadurch von der etwas seltsamen Haltung abgelenkt.  


                                                                                                - Ende -

© R.Blacky Schwarz